Meine eigene Reise: Yoga und Tango in Argentinien und Brasilien
Viel Ashtanga*-Yoga bei guten Lehrern praktizieren und dabei lateinamerikanische Menschen und Regionen kennenlernen, die mir noch nicht so vertraut waren: das hatte ich mir für Anfang 2015 vorgenommen:
Der erste Zufall war, dass ich vor einem knappen Jahr von Freunden aus der Ashtanga-Yoga-Szene den Hinweis bekam, es gäbe einen „neuen“ Lehrer in Deutschland. Dieser habe zuvor jahrelang in Brasilien die dortige Ashtanga-Szene aufgebaut: – obwohl ich mich auch von meinen ursprünglichen Asthanga-Lehrern Peter und Nicole in Schöneberg immer sehr gut betreut fühle, war ich neugierig und besuchte Matthew und Carla Vollmers in ihrem (damals improvisierten) Yogastudio in Berlin-Kreuzberg:
Mir hat ihr Unterrichtsstil gut gefallen. Daher habe ich mich gefreut zu erfahren, dass sie seit vielen Jahren ein Yoga-Retreat in Bahia, Brasilien für Ihre lateinamerikanischen Yogaschüler anbieten. Es wird nicht nur von Ihren brasilianischen Schülern besucht, sondern auch aus Argentinien kommen einige regelmäßig (viele davon Yogalehrer in Buenos Aires).
Also hatte ich mich dort angemeldet. In Bahia bin ich an einem kleinen Ort am Zusammenfluss von Fluss und Ozean unter Palmen angekommen, um täglich in 50m Entfernung zum Strand in der Gruppe unter Matthews und Carlas Augen und Korrekturen meine Ashtanga-Praxis zu pflegen, bevor wir uns an den immer angebotenen frischen Kokosnüssen erfreuten!
Yoga in Bahia
In diesem Jahr waren wir um die 5 „Gringos“ neben ca. 50 bis 60 brasilianischen und argentinischen Yoginis und Yogis – Es war schon hilfreich, spanisch zu sprechen, und schon mal für 2 Monate in Brasilien gelebt zu haben, um auch ein paar Grundlagen des portugiesischen zu haben. Für brasilianische Verhältnisse hatten wir eine sehr ruhige Zeit – nur an den Abenden um den praxisfreien Tag herum waren meist Fiestas angesagt, die dann auch sehr stilvoll in den Strandhäusern stattfanden. Sofern die Häuser dort eher als Ferienhaus gebaut sind, dann ist da meist viel Platz zum relaxen und tanzen im offenen Bereich – alles angepaßt an die meist 25-30 Grad Temperatur, die in dieser Region normal sind.
Nach den morgendlichen zwei Stunden Yogapraxis starteten wir gut aktiviert und gedehnt in den Tag – es gab viel Gelegenheit, die Mit-Praktizierenden täglich bei den Wegen im Dorf und am Strand wiederzutreffen. Meist gab es zum Tagesende Gelegenheit zur gemeinsamen Meditation.
Alle wirklich erfahrenen Yogalehrer wissen, dass es nicht darum geht, immer mehr verwegene Positionen (Asanas) zu können, sondern darum, immer das richtige Mass an Herausforderung zu haben, um während der Praxis immer das eigene Beste an Atmung, Haltung, Körperorganisation und Ausrichtung anzustreben und zu finden – Ich denke, mehr als im Tango ist bei Schülern von guten Yogastudios das Wissen einigermassen verbreitet, dass die Arbeit an derQualität der Ausführung das einzige lohnende Ziel ist und jede Überforderung mit höheren Schwierigkeitsgraden nur einen weniger großen Fortschritt im Hinblick auf die anzustrebende Körperkontrolle erlaubt.
Nach gut 2 1/2 Wochen Ashtanga-Praxis in Brasilien, habe ich einige Tage im südlichen Peru eingeschoben, um meinen Patensohn dort in seinem sozialen Austausch-Jahr zu besuchen. Das ist eine andere Geschichte…
Aufenthalt(e) in Buenos Aires
Auch einer meines liebsten sozialen Orte gibt es noch in ähnlicher Weise wie früher: die Milonga „Lo de Celia“ hat das Aussterben der „alten“ Generation der Tangotänzer überlebt – damals, um die Jahrtausendwende, konnte man davon ausgehen, dass die dortigen Tänzer (meist zwischen Mitte 60 und Mitte 80J alt) noch die Endzeit der Tangoblüte in der zweiten Hälfte der 40er und Anfang der 50er in ihrer Jugend erlebt hatten – jetzt im Jahr 2015 wächst langsam „die verlorene Tango-Tanz-Generation“ in dieses Alter (ab der 50er Jahre begann die Zeit der Diktaturen in Buenos Aires und der Tango – insbesondere als soziale Zusammenkunft – war zunehmend verpönt). Und doch ist diese Milonga in praktisch unveränderter Form bestehen geblieben und hat vieles bewahrt – wer in Buenos Aires ist, sollte mal eine Stunde in dieser Milonga verbringen:
Dort gibt es die von dem Organisator der Milonga geregelte soziale Regelung, die so speziell ist und für das gemeinsame Anliegen so hilfreich: Milonga-Besucher ohne Partner immer in die erste Tischreihe – und zwar auf den einzelnen Seiten der Tanzfläche nach Geschlechtern getrennt, damit man immer weiss, wohin man sich zum Auffordern orientieren muss.
Auch wenn der Tanzfluss, das gemeinsame Fortbewegen in der Tanzrichtung in abgestimmter Geschwindigkeit, in einer koordinierten Geschwindigkeit in den letzten 15 Jahren nach meinem Eindruck mit dem Aussterben der Generation, die noch mit dem Tanz aufgewachsen ist, gelitten haben mag, so ist vieles andere noch da. Es freut mich so sehr, dass es diese Kontinuität gibt.
* ein Organisator, der auch mal eingreift und Tänzern mit unangemessenen Tanzstil auch ganz wörtlich die gelbe Karte zeigt (die rote Karte heißt dann, das Eintrittsgeld zurückzubekommen und an die Tür komplimentiert zu werden)
Einen anderen schönen Abend habe ich in einer „Peña“ verbracht in der Bar Los Laureles.
Die befindet sich im Stadtviertel Barrancas, das nicht mehr zu den zentralen Vierteln gehört, die üblicherweise von Touristen aufgesucht werden: in einer Peña argentinischer Art kann sich jeder Mal beteiligen – z.B. ein Tangolied zum besten zu geben: der getanzte Tango steht nicht im Vordergrund (das Tanzniveau nicht beeindruckend – die Schwelle zum Mittanzen für jedermann allerdings geringer) – die Darbietungen sind gemischt zwischen hervorragend und eher „badezimmer-mäßig“, aber durchwegs orginell. Das angebotene Essen ist auch auf gute Weise volkstümlich, mit liebevoll großen Portionen – die Stimmung entspricht wirklich dem in vielen Tangotexten besungenem „arrabal“, oder auf deutsch: in der „Vorstadt“.
Auch Ashtanga Yoga habe ich in Buenos Aires gefunden (nach meinem Aufenthalt in Patagonien – siehe unten): YogaStudios finden sich am meisten im In-Viertel Palermo, wo neuere Entwicklungen immer zuerst ankommen – das von mir besuchte ist stillvoll in einer altem Fabrikgebäude mit Charme untergebracht. Es gefiel mir, mittlerweile auch ein wenig zu der „Familie“ der dortigen Szene dazuzugehören und Bekannte wiederzutreffen.
Ich kann empfehlen, diese Tour an einem Sonntag zu machen, wo auf den Straßen deutlich geringerer Verkehr ist. Mit dem Verleiher laBicicletaNaranja.com.ar ist es möglich das Fahrrad in dem einen Stadtviertel zu entleihen und im anderen zurückzugeben.
Mehr Informationen über Buenos Aires, wurden liebevoll von Ines über die Jahre zusammengestellt und sind auf unserer Tangoseite unter www.tangotanzen.de/buenos-aires zu finden
Mit Yoga in Patagonien
Ich wollte dringend mehr Zeit außerhalb der Stadt erleben – und nachdem ich im südamerikanischen Hochsommer hier war, war Patagonien das ideale Ziel. Wie gut, dass ich das mit der Teilnahme an einem weiteren Ashtanga-Retreat verbinden konnte: diesmal organisiert von einer Yoga-Schule in Buenos Aires, ausschließlich mit Teilnehmern aus Argentinien – fast alle aus der Hauptstadt.
Es war mein erster Aufenthalt in Patagonien und ich freue mich sehr, dass ich einen Einblick vom Lebensgefühl des argentinischen Südens gewann.
Im Flugzeug war die Gruppe meiner Yoga-Kollegen leicht zu erkennen – im Gegensatz zu der anderen großen Gruppe – nordamerikanischen Touristen , die zum Fischen unterwegs waren – hatten meine Kollegen etwa die Hälfte an Körpergewicht.
Außerhalb von Buenos Aires sind typischerweise nur die größten Verbindungsstrassen des Landes asphaltiert. Die Erschließungsstraßen zu den schönen Seen der Region sind Schotterpisten und die einzelnen – etwas verstreut liegenden Häuser sind über Sandwege verbunden. Die von mir besuchte Region zwischen San Martín de los Andes und Bariloche ist voller Berge und Seen und wird im Winter gerne zum Skifahren aufgesucht.
Unser Yogalehrer aus Buenos Aires, Pablo Pirillo, hat den relaxten Charme eines coolen Typen. Die erste Begegnung mit ihm – mit lockiger Haarmatte, wehendem Bart und sein nicht ganz neues Geländemotorrad meist zur Hand – hinterließ ein Che-Guevara-Feeling.
Pablo bewohnt die Ferienzeit von Januar und Februar eine etwas größere Cabaña (Übernachtungshütte), deren Freiflächen für unsere Übungszwecke freigeräumt wurden und dadurch zum Studio umgewandelt wurde. Die schönsten Ecken an den Seeufern von Patagonien beherbergen eine Menge Cabañas, die verstreut über die Landschaft liegen – einige sind ziemlich versteckt – andere dominieren die Landschaft an ziemlich exponierten Stellen: immerhin werden hauptsächlich lokale Baumaterialien verwandt, die sich ganz gut in die Umgebung einpassen.
Jeweils einer der zahlreich vertretenen Ashtanga-Lehrer aus Buenos Aires, die als Teilnehmer dabei waren, hat Pablo bei unserem Yoga im Mysore-Stil assistiert (Ashtanga wird meist im Mysore-Stil praktiziert – so dass jeder Schüler in seiner eigenen Geschwindigkeit seine Übungsabfolge absolviert und der Lehrer nicht vormacht, sondern individuell korrigieren kann).
Natürlich sind Yogalehrer so unterschiedlich, wie Menschen sind – bei dieser Unterschiedlichkeit ist aber doch häufig ein großes Mass an Toleranz und Offenheit da – das freut mich sehr an dieser Szene – denn diese „Lehrerfiguren“ bestimmen erheblich das menschliche Klima und die Stimmung in der Gemeinschaft rundherum….
So habe ich zwischen drei Lehrerpersönlichkeiten eine große Bandbreite an positiver Lehrerqualitäten kennengelernt. Ich konnte nicht nur von unserer Gruppe der „Übenden“ und unserer gemeinsam geschaffenen Energie viel mitnehmen, sondern auch von Matthew (englische intellektuelle Tiefe gelockert mit etwas angeeignetem brasilianischen swing, viel menschlicher Zugewandtheit und soziales vielschichtiges Verstehen, umsichtig, und mit sehr überzeugenden Adjustments und viel Engagement für Yoga-Philosophie), Carla (die im Lehrerteam mit Matthew viel Fundament schafft, erfreulicherweise auch ergänzende Positionen einbringt und neben verläßlichen hands-on auch mal ein kompetentes gemeinsames Suchen nach der besten Ausführung für den individuellen Körper unterstützt) und von Pablo in Patagonien (argentinische Relaxtheit, unkompliziert mit pragmatischer Sicht auf die Dinge, sympathische und zugewandte Verschmitztheit)!
Was hat es gebracht? Warum mit Yoga?
Ich hatte sehr viel Spass an all den menschlichen und kulturellen Erfahrungen. Besonders genoß ich an dieser Reise, dass ich mit Ruhe viel Zeit für ein intensive Beschäftigung mit dem Yoga hatte – und obendrein eine gute Motivation in der Gruppe! Was konnte ich aus der intensiven Beschäftigung mit dem Yoga mitnehmen?
- Oberflächlich: ein paar Asanas, in denen ich mich jetzt noch ein wenig besser ausrichten kann und ein paar kluge Ideen, zur Beziehung von Körper und Geist.
- Tiefer: eine Verbesserung bei zwei körperlichen Schmerz- und Schwachpunkten von mir, die durch eine gut ausgeführte regelmäßige Übungspraxis nicht schmerzhafter, sondern toleranter geworden sind. An diesen Körperstellen kann ich mittlerweile die Ausübung größere Belastungsreize zulassen. Über dieses Ergebnis bin ich natürlich glücklich – sehe es aber in Verbindung mit besonders guten Lehrern und auch meiner Basis einer sehr langen Vorerfahrung mit Yoga und anderne achtsamkeitsbasierten Körpererfahrungen.
- am Wichtigsten: ich habe dem Dialog mit meinem Körper etliche intensive Stunden gewidmet: nicht nur, um mich von den „wilden Affen“ zu befreien. Also: um eine Zeit ohne die normale Tendenz des Grübelns zu verbringen, wie es der Alltag mitbringt. Vor allem bin ich wieder ein wenig kompetenter darin geworden, die Mitteilungen und den Bewegungsbedarf des Körpers einschätzen und verstehen zu können: wann ist ein Signal, das sich ähnlich wie Schmerz anfühlt, ein Auftrag des Körpers, diese Bewegung zu vermeiden? Wann ist es nur eine Warnung, die besondere Vorsicht bei der Ausführung verlangt? Wie bleibe ich in Kontakt und unterstütze meinen Körper auch in Schwachstellen, die eine chronische Qualität haben…
Ich freue mich, auch im Rahmen meiner Osteopathie-Behandlungen manchen Aspekt des Dialogs mit dem Körper in der Arbeit mit meinen Patienten zu integrieren. Jetzt freue ich mich wieder umso mehr über meine Arbeit in meiner Berliner Praxis mit der ich seit Mitte Februar wieder begonnen habe.
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* „Ashtanga“ ist ein indisches Yoga-System, in dem die Abfolge von Yogapositionen (Asanas) in der Regel vom Schüler im gleichen Raum mit anderen individuell geübt wird. So muss der anwesende Lehrer nicht die Abfolge der Asanas anleiten, sondern kann sich auf die Unterstützung jeweils eines einzenen Schülers bei der Ausführung von Körperhaltung und Koordination mit der Atmung etc. konzentrieren. Die dynamischen modernen Yoga-Richtungen und -„Marken“ (oft mit Überbegriffen wie „Flow“, „Vinyasa“ oder „Power“) leiten sich aus diesem Yoga ab.